Gestern fand im Privatclub in Berlin das Release-Konzert des Debüt-Albums von Jon Campbell statt. Die Kategorie „Singer-Songwriter“ macht mich tendenziell sowieso an. Indie-Folk eigentlich weniger. Aber in diesem speziellen Fall war es anders. Ich war schon ein „Fan“ von Jon, bevor er überhaupt wusste, dass er eines Tages Fans haben würde. Es gibt diese Menschen, mit einer besonderen Ausstrahlung, die dich nicht so schnell loslassen.
Der Weg zu seinem ersten Album war beschwerlich und doch gleichzeitig leicht. Es war ein Prozess, der einmal losgetreten, in diesem Album münden musste. Und es gab viele „Fans“, die ihn dabei unterstützt und an ihn geglaubt haben. Darunter ist auch der Pet Shop Bears Choir aus Berlin, der auf dem Album auch in „Rebels Without a Cause“ zu hören ist und gestern beim Konzert weitere Songs begleitet und damit diesen Live-Auftritt besonders gemacht hat.
Voll schwul
Das Album „Sirens“ ist ein beeindruckendes Werk, dessen Tiefe in jeder Note und in jeder Zeile spürbar ist. Es gibt heute so viel Musik, doch selten solche, die wirklich berührt. Die Songs handeln vom Suchen, Finden und Verlieren der Liebe. Sie beschreiben innere Zerrissenheit, Erkenntnis und der Hoffnung, die trotz allem am Ende bleibt. Das Jon Campbell schwul ist, versteckt er nicht in den Texten. Sie werden dadurch nicht unbedingt ehrlicher, aber vor allem auch nicht kitschiger. Liebe bleibt Liebe.
In einem Interview hat Jon es auch gut auf den Punkt gebracht: „Wenn ich offen schwule Texte schreibe, kann es sich im Moment, in dem ich sie schreibe, zügellos anfühlen – aber ich habe aufgehört, mich für die Mehrheit kleiner zu machen. Bedeutet das, dass meine Musik ausschließlich für queere Menschen ist? Überhaupt nicht – das bedeutet, dass meine Musik queere Leute mit einschließt.“
Ein gutes Beispiel dafür ist das fröhliche Ich-bin-Hals-über-Kopf-verliebt-Lied „Dumb“, das bereits Teil einer EP aus dem letzten Jahr war und für „Sirens“ neu abgemischt wurde. Darin beschreibt er, wie sehr er einen anderen Mann anschmachtet, in dem er singt: „Your sexy hands are building me into a dream about what they could do to me“. Gleichzeitig versucht er, sich nicht überwältigen zu lassen: „Grant me the sovereignty to never say his name in a song – that would be fucked up“. Ich kann dem Gefühl gut folgen. Auch ich habe mich einmal zu einer romantischen Übersprungshandlung hinreißen lassen – und es gab leider kein Happy End.
Für Liebe kämpfen
Mein persönlicher Favorit ist „About a Boy“, ein Duett mit Jamie Irrepressible. Darin geht für mich um zwei Menschen, die sehenden Auges in ihr Unglück gestürzt sind, weil ihr kurzes Glück all das Leid gerechtfertigt hat – weil „when love’s the prize it’s always worth the fight“. Es war das Lied, das mich schon während des Konzertes am meisten gefesselt hat. Und beim Hören zu Hause bin ich dann innerlich zusammengebrochen. Es ist ein bisschen so hätte Adele all ihre (schlecht versteckte) Bitterkeit hinter sich gelassen, bevor sie „Something Like You“ geschrieben hat. Die Gefühle, die „About a Boy“ auslöst, sind weitaus größer. Dieser Song verdient es, die Zeit zu überdauern.
Wer davon nicht genug bekommen kann und etwas für homoerotische Balladen übrig hat, dem empfehle ich außerdem das überragend sphärische „Submission“ – ein Song von „The Irrepressibles“ aus dem letzten Jahr, gesungen zusammen mit Jon Campbell. Es gefiel mir auf Anhieb gut, weshalb ich es damals direkt mein Set auf der Unbedingt #3 damit gestartet habe.
Hören: Sirens von Jon Campbell
- Link zu Amazon Music
- Link zu iTunes Music
- Link zu Spotify
- Link zu Deezer
Kommentare von Martin