Mit „Living in a Magazin“ und „It’s Automatic“ haben Zoot Woman bereits vor über 15 Jahren die Indie-Boys verrückt gemacht. Indie ist zwar lange tot, aber Zoot Woman immer noch da – ausgerechnet mit einem Song über die Identitätskrise des Mannes. Oder der Band? Als Vorgeschmack auf das siebte Studio-Album fragt die Band: „Where is the Man“?
„It wasn’t meant to be a crisis of identity“, heißt es gleich zu Beginn noch offen. Die erste Strophe endet jedoch fast resignierend mit: „The person that I knew before I can hardly see no more“. Wo ist er hin, der Mann? Bin ich wirklich frei? Oder ist das alles nur ein Hirngespinst? Die fröhlichen Klänge als Begleitung machen die Nummer sehr tanzbar und könnten den ernsthaften Text fabelhaft kaschieren. Allerdings: Die Zeile „Paranoia getting deep“ brennt sich einfach zu sehr ein.
Zoot Woman singen nach der Me-Too-Debatte über Orientierungslosigkeit. Das passt gut zum Zeitgeist. Fragile Männlichkeit oder toxische Männlickeit sind viel diskutierte Themen. Meist geht es dabei um Verlustängste. Doch warum die Zweifel? Die voranschreitende Gleichstellung von Frauen und Männern ist etwas, das gefeiert werden sollte. Männer allerdings werden offensichtlich unsicher und fühlen sich angegriffen. Sie reagieren mit Trotz und Abwehr. „Warum?“, frage ich mich. Was gibt es überhaupt zu verlieren? Macht? Einfluss? Kontrolle? – Ernsthaft!?
Freiheit ist die einzige, die fehlt
Tatsächlich ist die Rolle des Mannes ein enges Korsett und hat wenig mit Freiheit zu tun. Und Macht haben Männer nicht als Gruppe, sondern auch immer nur ein ausgewählter Kreis von ihnen. Das ganze traditionelle Konzept von Mann und Frau ist ein schönes Konstrukt zur Unterdrückung. Es erleichtert das Treten nach unten. Männer begehren nicht auf. Sie stellen nicht in Frage, weil sie womöglich Angst davor haben, zu teilen. Und das obwohl es ein paar wirklich komische Vorstellungen in der Welt der Männer gibt. Jungs weinen nicht? Wayne interessiert das bitte!? Das hat nichts mit Freiheit zu tun. Da erkennt nur jemand sein selbst gebautes Gefängnis nicht.
Wie albern das Konzept des Mannes im Grunde ist, haben schon Herbert Grönemeyer, die Ärzte und Teile der Antilopen Gang in wunderbare Zeilen gegossen. Und Ina Deter hat ebenfalls ihren Senf dazugegeben. Männlichkeit wird weiterhin gern mit Macho-Gehabe verwechselt. Ich finde: Schlechte Rollenbilder gibt es wirklich genug. Männern sollten sich davon frei machen und sich selbst mehr vertrauen. Ein starker Wille hat nichts mit Muskeln zu tun. Es spricht nichts gegen Muskeln, aber sie machen Männer nicht stark. Und wer andere unterdrücken und abwerten muss, um sich stark zu fühlen, ist erst recht ziemlich schwach.
Frauen und Männer sind ein starkes Team. Auch Lesben und Schwule. Und – ohne Diskussion – alle dazwischen.
Das verfixte siebte Jahr
Alle sieben Jahre, so heißt es, verändert sich der Mensch. In jedem Abschnitt gibt es unterschiedliche Herausforderungen und Krisen zu bewältigen. Die Sinnkrise darüber, wer du bist und sein willst, sie ist allgemein als Midlife-Crisis bekannt. Aber andere Lebensphasen können genauso ihre Tücken haben. Und so ist der Song vielleicht nicht nur als Sinnkrise des Mannes zu verstehen, sondern handelt ganz profan von der eigenen Krise – ganz ohne Männlichkeitsprobleme. Auch schön.
Der Song ist übrigens ein Vorgeschmack auf das kommende Album von Zoot Woman. Und zufällig ist Maxidrama das siebte Album der Band – vielleicht ein kleiner Hinweis darauf, dass die Band ebenfalls nach ihrer Identität sucht.
Immerhin lassen dich Zoot Woman nicht ganz ertrinken. Zum Schluss gibt es einen Hinweis darauf, wie du aus der Krise herausfinden kannst. In der letzten Zeile heißt es einfach, aber simpel: „You know you’ve got it figured out all wrong, when it’s you you’re running from“. Wer vor sich selbst davon läuft, wird nirgendwo ankommen.
Lieder für Millionen
Die britische Band schaffte es nie bis ganz nach oben. Auch mit der Elektrop-Welle am Ende der 2000er-Jahre konnten sie kein Brett abliefern. Zoot Woman blieben in der Nische. Ich habe das nie so richtig verstanden, weil ihr Sound wirklich besonders war. Ja, es gibt es Anleihen aus den Synthie-Sound der Achtziger. Die Band wirkte dabei weder altbacken, noch spröde. Da langweilt mich Roosevelt viel mehr.
Solo lief es für die Bandmitglieder besser. Stuart Price arbeite als Remixer unter dem Namen „Thin White Duke“ und „Jacques Lu Cont“ mit Missy Elliot, New Order, The Killers, Coldplay, Muse und Röyksopp zusammen. Für Madonna produzierte er das gefeierte „Confessions on a Dance Floor“-Album. Die Pet Shop Boys holten ihn für „Super“ und „Electric“ ins Boot und Kylie Minogue für „Aphrodite“. Adam Blake schuf unter dem Namen „Paper Faces“ (mit Stuart Price), „Sloop John Barillo“ und „Mad March Hare“ fantastische Remixe. Unter anderem für Scissor Sisters und Madonna. Mitgewirkt hat er beispielsweise an den Alben von Duffy und Seal.
Nun ist Erfolg immer relativ. Ein Hit in den Charts bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Song auch in 20 Jahren noch relevant ist. Die Musik von Zoot Woman ist da anders. Spielst du einen Song der Band heute in einem Club, kennen ihn wahrscheinlich nur wenige, aber sie tanzen. Und so hoffe ich, dass „Where is the Man“ auch hängen bleibt – selbst wenn die Abrufzahlen auf Youtube eine andere Sprache sprechen.
Kommentare von Martin