„Die Welt besteht nicht nur aus Bildschirmen“, sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Und: „Nicht jeder geht gern Wandern oder lernt jetzt mit Leidenschaft Stricken. Aber es muss doch möglich sein, mit den Kindern mal in den Park zu gehen, ein Brettspiel zu spielen, zu lesen oder, oder, oder“ – Was ist los im High-Tech-Wunderland der Flugtaxis mit Laptop und Lederhose? Alles nur Fata Morgana?
Bayern, wir müssen reden. Es war 1998 als der damalige aus Landshut stammende Bundespräsident Roman Herzog den Begriff „Laptop und Lederhose“ prägte. Ein Jahr zuvor sagte er in seiner Berliner Rede „durch Deutschland muss ein Ruck gehen“, um für Reformbereitschaft zu werben. Auch wenn die Wende zunächst vor allem zu einem Bruch im Osten geführt hat, gab es überall in Deutschland ein paar Baustellen. Das Agrarland und ehemalige Nehmerland des Länderfinanzausgleichs schien seine Hausaufgaben gemacht zu haben. Doch in den letzten Jahren wird auch deutlich, dass der Fortschritt ins Stocken geraten ist. Bayern hat profitiert von der Unterstützung anderer und weigert sich nun, selbst Unterstützung zu leisten – schlimmer noch, es wirft ständig Steine ins Getriebe und zeigt dann mit dem Finger auf andere.
Die Blockade aus dem Süden
Bayern blockiert in der Flüchtlingsfrage. Bayern blocktiert die Energiewende. Bayern blockiert die Endlagersuche für Atommüll. Bayern blockiert Elektromobilität. Bayern blockiert eine neue gerechtere Grundsteuer. Die Liste könnte endlos weiter gehen. Jede Reform, die Bayern keinen Vorteil wird, blockieren die Bajuwaren. Kein Deutschland, Deutschland über alles – Bayern First heißt es da. Schnelles Internet für alle? Kommt schon irgendwann, sagt Dorothee Bär – aber träumen wir doch von Flugtaxis (Made in Bayern) und Bavaria One. Parallel forderte Andreas Scheuer und auch Söder eine Prämie für (rückschrittliche) Verbrenner. Vom Maut-Debakel will ich besser gar nicht erst anfangen… Förderung für Elektromobilität findet natürlich auch statt – das zuständige Ministerium ist seit Jahren in CSU-Hand und bevorzugt vor allem Bayern.
Wenn gegen das System Merkel geschimpft wird, kann ich dem manchmal zustimmen. Für mich stehen die vergangenen Jahre mit ihren Trippelschritten auch für einen gewissen Stillstand. Den Kritikern hingegen geht es alles viel zu schnell mit der Veränderung. Gestern die Vergewaltigung in der Ehe abgeschafft, heute die Rechte von Minderheiten auf eine Stufe mit den Rechten der Mehrheitsgesellschaft gestellt – was kommt morgen? Eine Frau als Bundeskanzlerin? Es ist weniger Angela Merkel, die bremst: Deutschland befindet sich in Geiselhaft der CSU. Und was muss ich dann gestern lesen?
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), zeigt sich besorgt über den Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie. „Die Welt besteht nicht nur aus Bildschirmen. Das muss sich aktuell jeder mehr denn je bewusst machen“, sagte Ludwig der „Augsburger Allgemeinen“. Gerade im Lockdown sei es schwierig, andere Beschäftigungen zu finden. „Nicht jeder geht gern Wandern oder lernt jetzt mit Leidenschaft Stricken. Aber es muss doch möglich sein, mit den Kindern mal in den Park zu gehen, ein Brettspiel zu spielen, zu lesen oder, oder, oder“, ergänzte Ludwig.
Tagesschau, ARD
Der Bildschirm im Heimunterricht ist natürlich notwendig, das gesteht Frau Ludwig den Kindern zu. Aber dann darf halt in der Freizeit nicht auch noch auf einen Bildschirm gestarrt werden. Die Furcht? Vielleicht das die Kinder viereckige Augen bekommen? Nein, sie fürchtet eine Sucht! „Die problematische Nutzung von digitalen Medien ist seit Jahren total im Aufwärtstrend“, sagte die CSU-Politikerin der Augsburger Allgemeinen. „Corona macht es natürlich nicht leichter, es zwingt Kinder, Jugendliche – eigentlich alle – dazu, mehr denn je Zeit vorm Bildschirm zu verbringen“, warnte Ludwig.
Für den Fortschritt, aber…
Das ganze Interview mit der Zeitung wirkt wie aus der Zeit gefallen. Im Jahr 2021 sagt eine Politikerin, dass die Schulen einen Crashkurs in Medienkompetenz bekommen würden. Diesen Satz höre ich im Grunde seit 20 Jahren. In meiner Welt war ein Crashkurs immer etwas, das schnell geht. Aber den aktuellen Stand zur Medienkompetenz hat uns Jan Böhmermann mit seinem „Home-Schooling“-Video ebenfalls sehr schön vor Augen geführt. Dazu kommt: Vielleicht ticken die Uhren in Bayern wirklich anders. Frau Ludwig fordert also, ab und zu mal den Stecker zu ziehen. Selbstverständlich nur ab und zu: „Ich bin davon überzeugt, dass in Zukunft niemand mehr ohne digitale Medien leben wird, aber es muss mit Maß und Verstand ablaufen.“ – 2021 ist also eine Politikerin aus Bayern davon überzeugt, dass sich das Internet vielleicht doch durchsetzt. Wahnsinn.
Natürlich sollte es noch etwas anderes als Bildschirme geben. Aber ein Bildschirm dient eben heute auch oft der Unterhaltung. Wir lesen digitale Medien, wir verschicken elektronische Briefe und wir tauchen durch Games in spannende, fremde Welten ein. Auf Spiele kommt die Drogenbeauftragte in dem Film „Tobi Grell erklärt Mediensucht“ auch zu sprechen, der Anlass für das Interview war. Dort erklärt sie, dass es „Games“ gibt, die Kinder krank machen und das weckt Erinnerung an die leidige Killerspiel-Debatte.
„Und drum gibt es jemanden wie mich, der sich darum kümmert“, sagt sie – es klingt wie eine Drohung. Denn dass sich die Drogenbeauftragte auf diese Weise um das Wohl der Kinder sorgt, erinnert mich zugleich an die Frau von Reverend Lovejoy aus den Simsons – die ebenfalls an unpassenden Stellen dazu aufrief, endlich mal an die Kinder zu denken. Außer Acht lässt die Kümmerin nämlich einerseits in ihrem Pauschalurteil, dass es auch Brettspiele gibt, die Kinder krank machen. Andererseits müssen Eltern, die den Stecker ziehen wollen, auch gute Alternativen anbieten. Für Wandern, Stricken und Brettspiele werden sich wahrscheinlich die Eltern selbst begeistern lassen. Vor allem aber wird Medienkompetenz nicht dadurch erlernt, in dem die Medien vorenthalten werden.
Und nur mal so am Rande: Die regelmäßige Sendung von Tobias Grell namens „Checker Tobi“ wird natürlich von einer Produktionsgesellschaft aus München im Auftrag des Bayrischen Rundfunks produziert. Wer den Film für die Drogenbeauftragte produziert hat, konnte ich nicht herausfinden. Es liegt allerdings nahe, dass es dieselbe Firma war.
Lederhose statt Laptop
Was ist da eigentlich los in Bayern? Jetzt doch Lederhose statt Laptop? Doch was wird dann eigentlich aus der Medienkompetenz? Wird das so ein Dauerprojekt wie die Einheit, die auch nach 40 Jahren immer noch diskutiert wird, weil unter anderem zänkische Bergvölker nicht bereit sind, sich in ein gemeinsames Deutschland zu integrieren? Wenn wir den Fortschritt nicht wagen, kommen ganz sicher noch mehr sinnentleerte Vorschläge wie die Flug-Taxis. Damals tönte Frau Bär im Interview mit dem ZDF, dass der Breitband-Ausbau natürlich sowieso funktionieren würde. Was aber Netflix-Deutschland schon wusste, daran wird Home-Office-Deutschland dieser Tage häufig erinnert: Die Realität ist eine andere.
Es gibt noch immer weiße Flecke, an denen sich Menschen überhaupt erst einmal schnelles Internet wünschen. Im Sauerland gab es dazu ein Experiment, wo selbst das Pferd schneller war als die eigene Internetverbindung. Aber immerhin fördert der Bund nun Flug-Taxis.
Problembär Bayern
Söder gilt immer noch als Aspirant für das Amt des Bundeskanzlers. Für das verwöhnte, verhätschelte und quengelnde Kind Bayern wäre es kurzfristig sicher ein Gewinn. Langfristig schaden diese permanenten Blockaden und die Kapriolen aber der Zukunftsfähigkeit unseres Landes, Europa und letztendlich auch Bayern. Wir leben im 21. Jahrhundert. Und wir sitzen alle in einem Boot. Wir brauchen keinen Heimatminister, sondern moderne Politik. Liebe CDU, vielleicht solltest du mal über eine Regierung ohne den Störenfried aus dem Süden nachdenken. Mia san mia? Ich verzichte.
PS: Die meisten Drogentoten gibt es in Bayern. Das Komasaufen gefährdet immer mehr Senioren. Die Reaktion damals: „Ministerin will Kampf gegen Drogen verstärken“. Und die Aussichten heute bleiben trübe.
Kommentare von Martin