Ich bin immer sehr irritiert, wenn behauptet wird, dass Digitalisierung nur durch Abstriche beim Datenschutz möglich sein soll. Ich bin ebenso stutzig, wenn eine Website mir zu verstehen gibt, dass ihr Datenschutz wichtig ist und ich alles selbst einstellen könne – aber ohne Google Analytics würde es nicht funktionieren, obwohl es Alternativen gibt. Ich möchte auch nicht wissen, wie viele Web-Entwickler auf Google Fonts setzen, obwohl US-Unternehmen gar nicht genau sagen möchte, welche Daten da eigentlich erfasst werden. Tim Cook von Apple hat es richtig formuliert, als er erklärte:

„Wenn ein Geschäft darauf aufbaut, dass es seine Nutzer im Bezug auf Verwertung von Daten, in die Irre führt – dass Entscheidungen überhaupt keine Entscheidungen sind – dann verdient es kein Lob. Es verdient einer Veränderung.“

Tim Cook, Quelle: Inc.com

Kein legitimes Interesse

Cook zielte damit weniger auf Google, sondern vor allem auf Facebook. Zwischen den beiden Riesen ist ein Streit entbrannt, der inzwischen mehr oder weniger offen ausgetragen wird. Auch mein Standpunkt ist es, dass Werbung früher auch ohne das Sammeln von Daten funktioniert hat. Und auch heute sind Geschäftsmodelle ohne Sammelwut tragfähig. Und ich möchte nicht falsch verstanden werden: Ich halte es nicht für falsch, wenn ein Unternehmen sich durch personalisierte Werbung finanziert – mir fehlte nur in der Vergangenheit oft die Transparenz. Und heute muss ich teilweise von Täuschung, wenn ich sogar von böswilliger Irreführung ausgehen.

Es ist einfach ein hinterlistiger Akt, wenn ich bewusst verberge, welche Daten ich sammle und mit wem ich sie teile, weil es meine Kunden verunsichern würde. Es ist irreführend, wenn durch „legitimiertes Interesse“ alle zuvor getroffenen Datenschutz-Entscheidungen obsolet sind. Und manchmal bin ich sehr verwundert, warum für den Betrieb einer Website an die 100 Unternehmen meine Daten haben wollen, und ich jedes einzelnen deaktivieren muss, wenn ich nicht damit einverstanden bin. Ehrlicher finde ich daher jene, die keinen Hehl aus dem Datensammeln machen, aber transparent erklären, mit wem und wofür. Noch besser sind jene, die mir als Alternative dazu ein kostenpflichtiges Abo anbieten.

Der gläserne Bürger

Inzwischen ist natürlich viel passiert, aber auch nur, weil Menschen dafür gekämpft haben. Doch dann muss ich wieder lesen, dass einige den Datenschutz als Hindernis betrachten und Bürgerdaten auf eine Art und Weise miteinander verknüpfen wollen, die es für Diebe immer attraktiver macht, die Sicherheit auszuhebeln und noch dazu Tür und Tor für Missbrauch öffnet.

„‚Der Datenschutz macht uns kaputt‘, habe Marc Henrichmann (CDU) jüngst erst wieder bei Unternehmergesprächen gehört. Es bringe daher nichts, wie das Kaninchen vor der Schlange zu verharren. Die Standards aus dem Volkszählungsurteil von 1983 gegen Profilbildung seien aus der Zeit gefallen, ergänzte Henrichmanns Parteikollege Philipp Amthor. Er warte entspannt auf ein ‚Wiedersehen in Karlsruhe‘.“

Heise.de

Und gerade Philipp Amthor halte ich auch für wenig vertrauenswürdig, wenn es um das Wohl der Bürger geht. Zuletzt wurde er dabei ertappt, seinen Wählern nach dem Mund zu reden und ein Lobbyist zu sein. Unerwähnt bleiben sollte natürlich nicht, dass er zunächst keine konkreten Vorteile daraus gezogen hatte, weil er seine Aktienoptionen nicht einlöste, und die Anklage daher fallen gelassen wurde.

Amthor greift mit seinem Kommentar eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Frage, mit der das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde etabliert wurde. Das Urteil gilt als Meilenstein des Datenschutzes. Noch dazu vergisst Amthor, dass das Bundesverfassungsgericht erst 2008 in einer Entscheidung neue Fakten geschaffen hat und sich daraus das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme abgeleitet hat. Es schließt Lücken bestehender Gesetze über das Telekommunikationsgeheimnis und die Unverletzlichkeit der Wohnung.

Kein Bremsklotz

Es ist richtig, dass wir vorankommen, die staatlichen Stellen mehr digitalisieren und Prozesse vereinfachen müssen. Aber das funktioniert auch Hand in Hand mit dem Datenschutz. Der Schutz der Privatsphäre von Bürgern kann eine Triebfeder für ganz neue Ideen sein. Es funktioniert nur nicht, wenn wir mit der Brille der alten Welt darauf schauen. Und eingeschränkt werden nur solche Geschäftsmodelle, die Menschen hinters Licht führen wollen. Weil Dienste beispielsweise nicht kostenlos sind, sondern die Währung persönliche Daten sind.

Wer Datenschutz als lästigen Ärgernis und Bremsklotz beschreibt und für wen universelle Regeln als aus der Zeit gefallen sind, der denkt dies auch über das Grundgesetz. Vielleicht sollte Philipp Amthor einmal in seiner Familie fragen, warum Datenschutz so wichtig ist. Ob sich also ausgerechnet deutsche Politiker aus dem Fenster lehnen sollten, wenn es um die Bagatellisierung von Datenschutz geht? Ich bezweifle es.

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