Bankenkrise, Immobilienkrise, Klimakrise, Corona-Krise, Energiekrise, Russland-Krise… Es gibt Leute, die glauben an eine Dauerkrise und kreiden die Panikmache an. Dabei gibt es für dieses Phänomen eine interessante und für einige vielleicht sogar überraschende Erklärung. Sie hat auch viel mit der sich verändernden Welt zu tun und weniger mit der Realität.
Ich bin ein großer Freund der freien Meinungsäußerung. Ich bin so dankbar, dass das Internet mehr Menschen die Möglichkeit gegeben hat, sich frei zu äußern und es leichter ist, mit anderen in Kontakt zu machen. Einstige Gatekeeper bzw. Hüter von Informationen mussten einen massiven Machtverlust hinnehmen – und das in allen Bereichen des Lebens. Wenn ich heute neue Musik hören will, muss ich vor dem Radio sitzen und warten, bis er gespielt wird. Ich muss nicht zu einem Konzert oder in den Club für meine Lieblingsmusik. Ich muss sie nicht einmal kaufen. Es gibt Lernkurse für jedes Thema, das du dir nur vorstellen kannst. Vieles ist ebenfalls frei und kostenlos und bietet damit nicht nur wohlhabenden den Zugang zu Bildung. Trotz der Bestrebungen, auch im Internet neue Mauern zu bauen, gibt kein Monopol für Nachrichten. Alles ist scheinbar immer und überall verfügbar – jegliche digital speicherbare Information.
Plattform-Internet baut Mauern
Die meisten Menschen vertrauen den klassischen Medien weiterhin mehr, das bestätigen verlässliche Studien. Und doch gibt es eine Veränderung im Konsum. Sogenannte „soziale Netzwerke“ sind Vorboten einer Welt des Plattform-Internets, bei dir nur wenige große Unternehmen zum Informationskanal im Internet werden. Dazu gehören auch Angebote wie Whatsapp, die für manche der einzige Startpunkt ins Internet sind. Sie konsumieren lediglich, was andere teilen.
Ich würde Angebote wie Whatsapp, Facebook und Tik Tok auch nicht als „soziale” Netzwerke bezeichnen. Die Unternehmen dahinter nehmen ihre Rolle als Moderator kaum war, sondern optimieren ihr Angebot lediglich für Werbekunden. Mit dir persönlich verdienen sie kein Geld, daher ist das eine ganz logische Entscheidung. Der schnöde, aber völlig ausreichende Ausdruck „Online-Kommunikations-Netzwerk” gefällt mir daher besser.
Einige haben das sehr gut verstanden und präsentieren sich als Person in Online-Kommunikations-Netzwerken ebenfalls als ein solcher Informationskanal. Manche davon nennen sich „Influencer“. Fast alle Netzwerke haben gemein, dass hier die Lokalzeitung gefühlt auf einer Stufe steht mit der New York Times, Dieter Bohlen und der persönlichen Meinung von Hansi Schulz. Und wenn mir die Meinung von Hansi gefällt, dann bekomme ich davon täglich mehr geliefert. Falls sie mir nicht gefällt und ich mich aber darüber aufrege in Form von Emoticons oder Kommentaren, also faktisch trotzdem damit beschäftige, dann bekomme ich davon wahrscheinlich ebenfalls mehr geliefert. Algorithmen sorgen dafür.
Algorithmus als Gatekeeper
Algorithmen sind in diesem Fall logisch formulierte Abläufe, die nach automatisierten Regeln das Angebot zusammenstellen. Eine solche Funktion prüft womit du deine Zeit verbringst und stößt dich auf weitere solcher Inhalte. Ob du die Information wirklich magst, ist dafür zunächst nicht relevant. Je mehr Zeit du im Netzwerk verbringst, desto besser für das Unternehmen. Auch deswegen werden Angebote wie Whatsapp oder Telegramm zu Netzwerken, denn dadurch verbringst du mehr Zeit dort und es schafft weitere Möglichkeiten, um für Werbekunden interessant zu werden.
Und eben mit der gewachsenen Bedeutung von Online-Netzwerken nahm die Macht der Algorithmen und der Einfluss von Werbekunden zu. Früher war ein Journalist mit Ausbildung der Gatekeeper, der wesentliche Hüter von Informationen. Heute übernehmen diese Funktion eben auch Einzelpersonen, die häufig als Influencer (zu Deutsch: „einflussreiche Person“) bezeichnet werden. Manchmal ist das großartig, wenn du Informationen von einen cleveren Menschen vom Fach sehr direkt beziehen kannst. Manchmal täuschen Menschen ihr Fach aber auch nur vor oder sind käuflicher als ein Sexarbeiter. Dann ist das kein Mehrwert, sondern sogar gefährlich. Doch Obacht! Um diese Diskussion soll es hier nicht gehen.
Gewünschte Manipulation
Mir geht es darum, dass durch Online-Netzwerke eine unbewusste und durchaus auch von dir selbst gewünschte Manipulation stattfindet. Es gibt für dich wenig Möglichkeiten den Algorithmus zu beeinflussen. Werbegelder versuchen dich viel häufiger und viel professioneller in eine andere Richtung zu bewegen. Es gehört schon eine bewusste Entscheidung für den Konsum anderer Kanäle dazu – also Plattformen, die dich persönlich brauchen und nicht nur als „Viech” für ihre Werbekunden. Dazu gehören einerseits der öffentlich-rechtliche Rundfunk, aber auch viele Angebote, für die du bezahlst. Und natürlich gibt es auch gute werbefinanzierte Medien, die bei Werbepartnern wegen ihrer Reputation beliebt sind. Ich persönlich würde dazu beispielsweise die allermeisten Tageszeitungen zählen. Wobei auch zu sagen ist, dass die meisten inzwischen versuchen, online nicht nur mit Werbung ihr Geld zu verdienen.
Manipulation ist nun natürlich ein harter Vorwurf. Ich versuche also zu erklären, was an der Manipulation durch Online-Netzwerke anders ist. Stell dir vor, du hättest du dich dafür entschieden, jeden Abend die Tagesschau in der ARD zu schauen. Die ARD ist Hüter der ausgestrahlten Informationen. Die Redaktion entscheidet darüber, was in der Sendung läuft. Danach kannst du ganz einfach umschalten und ein anderes Programm schauen.
Ein Online-Netzwerk gaukelt dir vor, dass du es in der Hand hast. Du entscheidest dich dafür, welchen Seiten du folgst und mit wem du befreundet bist. Und doch ist der Einfluss von Algorithmen und Werbegeldern enorm. Während du endlos durch die ausgewählten Beiträge rollst, entscheiden oft sie, was du siehst und worauf der Fokus ist. Hast du die Tagesschau auf Facebook abonniert, bedeutet das nicht, dass sie dir auch angezeigt wird. Das Online-Netzwerk sucht aus, was dir gefällt. Und im Grunde findest du das sogar angenehm. Es nimmt dir die Arbeit ab, die vielen Informationen selbst zu filtern. Wer nicht aktiv andere Medien aufsucht, landet irgendwann in einer Informationsblase, die im schlimmsten auch noch ätzend ist.
Prüfe deine Quellen
Selbst Whatsapp kann dich beeinflussen, weil es auch dort Kanäle gibt, die Informationen verbreiten. Und falls du nicht direkt davon beeinflusst wirst, so macht es vielleicht dein Umfeld, dass solche Inhalte mit dir teilt. Die tratschende Nachbarschaft wird seltener ernst genommen, doch der geteilte Artikel im Internet mit demselben Quatsch eventuell schon. In Online-Netzwerken sind Fachleute am Werk, die ein persönliches Interesse an Einflussnahme haben, weil sie davon profitieren. Es gibt viele Hinweise und durch Recherchen nachgewiesene Beispiele für eine solche Einflussnahme bei Wahlen und der Meinung in der Gesellschaft – auch durch andere Länder. Russland und China setzen auf diese Form der Manipulation. Und auch das ist eine Erkenntnis der letzten Jahre: Hier wirken sehr wahrscheinlich keine Bots, sondern Algorithmen bzw. bezahlte Menschen, die Algorithmen auszunutzen.
Und falls du das Gefühl hast, dass Nachrichten nur noch aus Krisen bestehen, vielleicht solltest die Plattform wechseln. Auch mal abseits von Online-Kommunikations-Netzwerken wie Facebook informieren. Und falls du dich nach positiven Meldungen sehnst, empfehle ich Perspective Daily. Die deutsche Nachrichten-Seite bietet konstruktiven Journalismus und verspricht damit eine realistischere Sicht auf die Welt.
Mehr erfahren
Dossier: Digitale Desinformation (Bundeszentrale für politische Bildung)
https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/digitale-desinformation/
Artikel: Welchen Einfluss haben soziale Medien auf die US-Wahl?
https://www.forschung-und-lehre.de/forschung/welchen-einfluss-haben-soziale-medien-auf-die-us-wahl-3219/
Artikel: Beeinflussen Fake News die Landtagswahl in Niedersachsen?
https://www.harzkurier.de/region/article236581211/Beeinflussen-Fake-News-die-Landtagswahl-in-Niedersachsen.html
Kommentare von Martin